Über 10.000 Personen wurden zur Belegschaftsversammlung erwartet. Weitere Teilnehmer sollten die Versammlung über Leinwände außerhalb der Halle verfolgen können. Der Betriebsrat sprach von insgesamt über 16.000 Teilnehmern. Ein Transparent trug die Aufschrift: „Hände weg von der Beschäftigungssicherung“. Ein anderes Transparent warf dem Vorstand mit Blick auf mögliche Gehaltskürzungen Doppelmoral vor. Teilnehmer berichteten, sie hätten „Wir sind Volkswagen, ihr seid es nicht!“ gerufen, als die Vorstände die Bühne betraten.
„Die Stimmung in der Autoindustrie ist im freien Fall“
„Es fehlt uns der Umsatz von einer halben Million Fahrzeugen. Dies hat nichts mit unseren Produkten oder der Leistung des Vertriebs zu tun. Der Markt ist einfach nicht mehr vorhanden“, rechtfertigte VW-Finanzchef Arno Antlitz die Pläne laut Auszügen aus seinem Redemanuskript. „Wir haben noch ein Jahr, vielleicht zwei, um das Steuer herumzureißen. Diese Zeit müssen wir nutzen“, sagte er weiter. „Seit geraumer Zeit geben wir in der Marke mehr Geld aus, als wir einnehmen. Das kann auf Dauer nicht gut gehen!“ Markenchef Thomas Schäfer erklärte, die Einsparungen seien notwendig, um Mittel für neue Produkte freizusetzen. „Wir brauchen jetzt Geld, um kräftig zu investieren“, fügte er hinzu.
Zu Beginn der Woche hatte der Autokonzern angekündigt, bei der Kernmarke erhebliche Einsparungen vornehmen zu müssen, und erstmals die Möglichkeit von Werksschließungen in Deutschland angedeutet. Betriebsbedingte Kündigungen sind nicht mehr ausgeschlossen. VW-Betriebsratschefin Daniela Cavallo kündigte daraufhin starken Widerstand von Seiten der Arbeitnehmer gegen die Sparpläne an. Am Montag erklärte sie: „Die Belegschaft ist derzeit sehr verunsichert, niemand hat erwartet, dass dieser Schritt gegangen wird.“
Der Konzern hatte den verschärften Sparkurs intern damit begründet, dass allein durch den demografischen Wandel die Wettbewerbsfähigkeit nicht ausreichend gesteigert werden könne. Laut SPIEGEL-Informationen klafft im Finanzplan von Volkswagen und VW Nutzfahrzeuge eine Lücke von vier bis fünf Milliarden Euro.
Auch die Neuzulassungen in Deutschland sind im August stark eingebrochen. Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) registrierte im vergangenen Monat mit rund 197.000 Neuwagen fast 28 Prozent weniger als im gleichen Monat des Vorjahres, der besonders stark gewesen war. Besonders stark fiel der Rückgang bei reinen Elektroautos aus: Mit nur 27.000 Neuwagen lagen sie 69 Prozent unter dem Vorjahresniveau. Ein Grund dafür ist, dass im vergangenen Jahr aufgrund des Wegfalls der staatlichen Förderung von Firmenwagen ab September besonders viele E-Autos angeschafft wurden. Der August 2023 war somit ein besonders guter Monat für Elektrofahrzeuge.
Bundeskanzler Olaf Scholz scheint sich nun ebenfalls in die Krise bei Volkswagen einmischen zu wollen. Ein Insider berichtete der Nachrichtenagentur Reuters, dass sich der Kanzler aufgrund der politischen Einflussnahme auf VW vertraulich mit verschiedenen Akteuren abgestimmt habe, darunter VW-Konzernchef Blume, Betriebsratschefin Cavallo und Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil. Das Land Niedersachsen hält ein Fünftel der Stimmrechte bei dem Autobauer.
Die Kernmarke VW leidet besonders stark unter Überkapazitäten, da der europäische Automarkt nach wie vor deutlich unter dem Niveau vor der Corona-Pandemie liegt. Zusätzlich belasten hohe Investitionen in die Elektromobilität die Marke. Am Vormittag versammelten sich die Beschäftigten in Wolfsburg zu einer Betriebsversammlung.
Unterdessen befindet sich das Geschäftsklima in der gesamten Branche in einer Krise. „Die Stimmung in der Autoindustrie ist im freien Fall“, sagte Expertin Anita Wölfl vom Münchner Ifo-Institut. Das Geschäftsklima ist im August 2024 um 6,2 Punkte auf minus 24,7 Punkte eingebrochen. Nach einer vorübergehenden leichten Erholung war dies bereits der vierte Rückgang in Folge.
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