Vor gut zehn Jahren, also etwa um das Jahr 2013, machte Schweden mit der schrittweisen Abschaffung der Bargeldnutzung auf sich aufmerksam. Überall war von der Abschaffung des Bargelds und der ersten bargeldlosen Gesellschaft zu lesen. In der Tat setzten die Banken und der Einzelhandel Schwedens auf Kreditkarten und bargeldlose Zahlungen, auch wenn viele Experten damals vor einer bargeldlosen Welt gewarnt haben. Dass die Konsumenten in Skandinavien sehr früh mit Kreditkarten auch Kleinstbeträge in der Bäckerei bezahlt haben, habe ich das erste Mal erlebt, als ich im Frühjahr 2009 im norwegischen Stavanger war. Das hat mich inspiriert und seitdem zahle ich so gut wie alles mit der Karte und seit 2018 mit dem Smartphone. Ab 2020 bekam die bargeldlose Zahlung einen kräftigen Aufschub und ich habe damals über das bargeldlose Bezahlen hier auf dem Blog geschrieben. Doch, seit diesem Jahr hat die Riksbank, die schwedische Zentralbank eine Kehrtwende in Sachen Bargeld eingeläutet. In ihrem Jahresbericht 2024 betont die Zentralbank die unverzichtbare Rolle des Bargeldes für sichere Zahlungen bei Stromausfällen oder im Fall einer Cyberattacke. Über diese Kehrtwende und die Wiederentdeckung der Wichtigkeit des Bargelds soll es in diesem Blogbeitrag gehen.
Ohne Bargeld in Schweden: Wie alles begann
In den letzten Jahrzehnten hat Schweden eine bemerkenswerte Transformation in der Art und Weise vollzogen, wie Menschen Zahlungen abwickeln: Es hat sich zu einem der führenden Länder in Bezug auf die bargeldlose Zahlung entwickelt. Doch wie hat dieser Wandel begonnen?
Die Wurzeln dieser Entwicklung reichen zurück bis in die 1960er Jahre, als die ersten Kreditkarten in Schweden eingeführt wurden. Diese neuen Zahlungsmittel wurden zunächst von einer kleinen, aber wachsenden Zahl von Einzelhändlern und Verbrauchern angenommen. In den folgenden Jahrzehnten wurden elektronische Zahlungssysteme wie Debitkarten und Online-Banking immer beliebter. Ein wichtiger Schritt in Richtung einer bargeldlosen Gesellschaft war die Einführung des Swish-Systems im Jahr 2012. Swish ist eine mobile Zahlungs-App, die es den Nutzern ermöglicht, Geld von ihren Bankkonten in Echtzeit zu überweisen, indem sie lediglich die Telefonnummer des Empfängers kennen. Diese einfache und benutzerfreundliche Plattform gewann schnell an Popularität und wurde zu einem integralen Bestandteil des täglichen Lebens der Schweden.
Ein weiterer treibender Faktor für die bargeldlose Entwicklung in Schweden war die fortschreitende Digitalisierung der Gesellschaft. Immer mehr Geschäfte, Restaurants und öffentliche Verkehrsmittel begannen, ausschließlich elektronische Zahlungen zu akzeptieren. Dies wurde durch die weit verbreitete Nutzung von Kartenterminals und kontaktlosen Zahlungsoptionen weiter erleichtert. Die schwedische Regierung unterstützte diesen Wandel durch die Schließung von Bankfilialen und die Förderung von Online-Banking-Diensten. Darüber hinaus wurden Bargeldtransaktionen zunehmend mit höheren Gebühren belegt, was viele Verbraucher dazu ermutigte, auf bargeldlose Alternativen umzusteigen.
Obwohl Schweden bei der bargeldlosen Zahlung Vorreiter ist, gibt es auch Bedenken hinsichtlich der Auswirkungen dieses Trends. Einige befürchten, dass die Abhängigkeit von elektronischen Zahlungsmitteln die finanzielle Inklusion beeinträchtigen und ältere oder weniger technikaffine Menschen ausschließen könnte.
Coronavirus beschleunigt Trend zur bargeldlosen Zahlung
Der Trend zum bargeldlosen Bezahlen mit der Girocard setzt sich fort, und Banken sowie Sparkassen versprechen weitere Einsatzmöglichkeiten. Laut Angaben der Deutschen Kreditwirtschaft zahlten Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland im ersten Halbjahr 2023 rund 3,65 Milliarden Mal Einkäufe mit der Girocard. Das entspricht einem Anstieg um 15 Prozent im Vergleich zu den ersten sechs Monaten des Jahres 2022, wie von Euro Kartensysteme aus Frankfurt am Donnerstag mitgeteilt wurde.
Die Virus-Pandemie hat auch im Euro-Währungsgebiet das bargeldlose Bezahlen beim Einkaufen kräftig vorangetrieben, wie aus einer Erhebung der Europäischen Zentralbank (EZB) hervorgeht. Vierzig Prozent der Befragten gaben an, seit Beginn der Pandemie weniger häufig Scheine und Münzen verwendet zu haben, und fast 90 Prozent beabsichtigen, dies auch nach der Pandemie beizubehalten. Als Hauptgrund wurde genannt, dass elektronisches Zahlen, insbesondere kontaktlos mittels EC-Karte, während der Pandemie zweckmäßiger geworden sei.
„Der Trend in Richtung bargeldloses Bezahlen scheint sich während der Pandemie beschleunigt zu haben, obwohl die Verfestigung dieser vorläufigen Ergebnisse noch unsicher ist“, erklärte EZB Direktor Fabio Panetta. Bereits vor der Pandemie war das bargeldlose Bezahlen im Euro-Raum auf dem Vormarsch. Zwar war Bargeld immer noch das am häufigsten genutzte Zahlungsmittel an der Kasse, jedoch sank sein Anteil von 79 Prozent vor drei Jahren auf 73 Prozent im Jahr 2019, wie aus einer weiteren Umfrage hervorgeht. Das Bezahlen per Karte für kleinere Beträge an der Ladenkasse gewinnt ebenfalls an Bedeutung, so die EZB.
Zweifel zum Rückgang des Bargelds: „Geld bedeutet geprägte Freiheit“
Doch, da wo Licht ist, ist auch Schatten. Der Vormarsch der bargeldlosen Zahlung hat durchaus seine Schattenseiten. Viggo Lindgren ist Sprecher des Småföretagernas Riksförbund. In Deutschland entspräche das einem Bundesverband der Einzelhändler und Kleinunternehmer. Der erfahrene Anwalt äußert sich offen und direkt. „Wir sind hier in Schweden völlig IT-fixiert. Wir wollen immer die Ersten sein und die Besten. Obwohl es viele IT-Lösungen gibt, die nicht oder nicht gut funktionieren, haben wir ein fast schon blindes Vertrauen in diese Technik. Und genau deshalb sagen wir: Wir müssen auch weiterhin Bargeld haben und damit arbeiten können.“
Hinter der Einführung des bargeldlosen Systems steckt nämlich mehr, als Banken und Fintechs zugeben wollen. Es geht auch um Profit, Daten und Kontrolle. Schweden war das erste Land in Europa, das im Jahr 1661 Geldscheine als offizielles Zahlungsmittel einführte. Mehr als 350 Jahre später ist Schweden eines der ersten Länder der Welt, die es wieder abschaffen. Das Land hat früh den Grundstein für die Digitalisierung des Geldverkehrs gelegt. Schon Anfang der Neunzigerjahre besaßen viele Schweden Kreditkarten. Mitte der 2000er-Jahre begannen die Banken, Filialen zu schließen. Ende 2009 führte Schweden dann als eines der ersten Länder der Welt das LTE-Mobilfunknetz ein. Etwa zeitgleich wurden viele Bankautomaten abgebaut. Bankkunden in Schweden können heute in vielen Filialen kein Geld mehr einzahlen oder abheben.
Doch nun wachsen Zweifel, ob die rasante Entwicklung wirklich segensreich für das Land ist. „Wenn die Bargeld-Menge weiterhin so schnell schrumpft, wird es schwierig, die Infrastruktur aufrecht zu erhalten“, sagte Ökonom Mats Dillen gegenüber der Nachrichtenagentur Bloomberg. Dillen ist Vorsitzender einer Kommission, die die Wirkung des Scheine-Schwunds untersucht. Zum Problem könnte offenbar werden, dass vor allem viele ältere Menschen mit Internet und Mobiltelefonen noch nicht ausreichend vertraut sind und weiterhin mit echtem Geld bezahlen wollen.
Je mehr Geschäfte und Banken dieses nicht mehr ermöglichen, desto größer wird die Chance, dass Menschen sich nicht mehr komfortabel versorgen können. Dillen sprich von einer Negativspirale, die genauer untersucht werden müsste. Im vergangenen Jahr lag die Bargeld-Menge bereits 40 Prozent niedriger als 2007, als sie einen Höhepunkt erreicht hatte. Laut Bloomberg nutzen nur noch 25 Prozent der Schweden einmal oder mehrmals in der Woche überhaupt Bargeld. „Geld bedeutet geprägte Freiheit“: Der russische Schriftsteller Fjodor Dostojewski hat es Mitte des 19. Jahrhunderts auf den Punkt gebracht.
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